Heimspiel in Bochum

Die Aasee-Mönche und weitere 10.000 Gladbacher zeigen Bochum, was geht

 

Morgens, 11:39 Uhr in Deutschland. Zahllose Fußballfans sind bereits jetzt auf dem Weg in die Stadien. So auch die Aasee-Mönche aus Münster, die soeben den Zug gen Bochum bestiegen haben. Angespannt (wie schon seit Tagen), aber noch relativ relaxt öffnet man die ersten Kannen und flachst herum, wobei Bruder Hage nicht zum ersten Mal seine Qualitäten als Stadionsprecher unter Beweis stellt. Besonders weit ist der Weg in den Pott nicht, weswegen der Tross sein Ziel zeitig erreicht. Im Schatten des Ruhrstadions gibt’s stilecht eine Runde Currywurst mit Pommes für alle, die in einer kleinen Pinte ein Paar Meter weiter wird mit ein paar weiteren Bierchen runtergespült wird. Stimmung und Wetter sind mittlerweile prächtig.

Etwa eine Stunde vor Anpfiff werden die letzten Meter zum Stadion absolviert. Zur Sicherheit legt sich Präsi „Paule Preiswert“ am Stand des Fanprojekts einen modischen Baustellenhelm zu. Dann ist es endlich soweit: Ab in den Block. Drinnen wartet bereits ein Großteil der insgesamt mehr als 10.000 Gladbacher Invasoren. Mit den massig verteilten grünen Luftballons geben sie der langweilig einheitsblauen „Arena“ zumindest teilweise einen angenehmen Anstrich. Vom ersten Moment an ist klar, wer an diesem Nachmittag in Bochum den Ton angibt: Die Gästefans. „Auswärtssieg! Auswärtssieg!“ hallt es immer wieder durch das überdachte Rund. So herrscht schon hervorragende Stimmung, noch bevor überhaupt ein Spieler den Platz betreten hat. Bochumer Fangesänge? Fehlanzeige. Als die Borussen zum Warmmachen auflaufen, wissen alle, das sie Heimspielatmosphäre erwartet.

Und der lautstarke Support trägt Früchte: Vom Anpfiff weg  entwickelt sich ein spannendes Spiel zweier nahezu gleichwertiger Mannschaften. Die Borussen fighten, was das Zeug hält, liefern endlich einmal wieder auch auf fremdem Platz eine akzeptable Leistung ab. Da macht das Schreien doppelt Spaß. Nach einer Anfangsoffensive der Bochumer geht der „echte“ VfL sogar durch einen Forssell-Kopfball in Führung. Kein Halten mehr auf den Rängen. Wann hat man das zuletzt erlebt? Doch die Freude währt nur kurz. Kaum ist der Blick wieder auf den Platz gerichtet, fällt auch schon der Ausgleich. Ascho lässt Freier flanken. In der Mitte hat Christiansen soviel freien Raum, dass er den Ball seelenruhig annehmen und ihn nach einer leicht verzögerten Drehung um Kluge herum ins lange linke Eck schieben kann. Ungewissheit auf den Rängen: Wie stecken die Jungs das weg? Doch kein Grund zur Sorge. Die „Gäste“ brechen nicht ein, spielen weiter wacker mit.

Pause. Kippe an. Der Versuch, die Aufregung zu verdauen. Schwierig, denn die Pumpe geht auf Hochtouren. Die Nervosität behält die Oberhand. Gesprochen wird wenig. Ewig lange, irgendwie surreale 15 Minuten. Dann endlich die Erlösung durch den Wiederanpfiff. Gute Chance durch Kopfballschreck Kalla, dann übernimmt Gladbach die Regie. Langsam, aber sicher baut die Borussia ein deutliches Übergewicht auf. Kein Wunder – schließlich spielt sie auf „ihre“ Kurve. Frenetische Unterstützung peitscht die Weißen gnadenlos nach vorne. Powerplay, bei dem man phasenweise sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Euphorie pur. Die Fans geben alles. Nur: Reinmachen müssen die Jungs auf dem Platz das Ding schon noch selber. Und das gestaltet sich (wieder einmal) ziemlich schwierig, ja unmöglich. Auch im minutenlangen Chaos im Bochumer Strafraum findet der Ball nicht den Weg ins fremde Gehäuse. Abpfiff – und doch keine echte Erlösung. Weil keiner weiß, was dieser Punkt letztlich Wert sein wird. Vielleicht auch deshalb weitere Wallung. Wenn schon absteigen, dann mit Würde. Nur vereinzelte Borussenfans verlassen mit dem Bochumer Publikum das Stadion. Sie verpassen das beste.

Was sich in den folgenden 40 Minuten abspielt, wird den Anwesenden wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Die weitaus meisten der mitgereisten Borussenfans füllen weiterhin ihre Blöcke. Sie beginnen jetzt erst richtig zu feiern, besetzen Fangnetze und Zäune – und holen das Team nur kurz nach der obligatorischen Verabschiedung bereits wieder auf den Rasen zurück. Einige wenige verbliebene Bochumer Zuschauer bestaunen das Spektakel, doch auch als sie das Stadion verlassen, ist die Party noch lange nicht zuende. Jede einzelne Runde, die die Borussen auslaufen, wird von leidenschaftlichen Gesängen begleitet, die Bochumer werden im eigenen Stadion gnadenlos ausgepfiffen. Gänsehautatmosphäre. Ordner und Sicherheitsdienst verfolgen sichtlich beeindruckt das Geschehen. Die gefeierten Helden nehmen ihre eigenen Arme kaum noch herunter, bedanken sich fast ehrfürchtig. Einigen (Demo, Ulich, Skoubo) steht Ungläubigkeit ins Gesicht geschrieben. Übermütig wirft Marcelo seine Treter in den Block. Später im Sportstudio wird Jörg Stiel sagen, so etwas habe er in seiner ganzen beachtlichen Aktivenzeit noch nicht erlebt. „Außer beim Ausgleichstor“, gibt Arie zum besten, „habe er das Bochumer Publikum nicht gehört.“ Dabei saß er sechzig Minuten nur auf der Ersatzbank. Kette und Ewald finden’s „einfach unglaublich, was die Fans immer wieder auf die Beine stellen“, und selbst „Heimtrainer“ Neururer zeigt sich im Interview „beeindruckt von der Lautstärke der Unterstützung“. Um 17:55 Uhr verlassen auch die Aasee-Mönche das Stadiongelände und machen sich ebenso beschwingt wie erschöpft auf den Heimweg.

Das allerdings nicht, ohne vorher noch das gute Wetter bei ein paar Pils im Biergarten auszukosten. Am Straßenrand wird ein fernsehbekannter Polizist ausgemacht und würdig gefeiert: „Bochum hat die beste Polizei, Bochum hat die beste Polizei...“. Der junge Mann bedankt und verdrückt sich, ohne uns in unserem Zwist mit dem temperamentvollen Wirt des arabischen Genusstempels zur Seite zu stehen. Diplomatie verhilft uns zu einer weiteren Runde Pils, dann geht’s rüber zur U-Bahn. Fachsimpeleien mit Bochumer Bürgern. Alle sind beeindruckt und wünschen uns nur das Beste. Wir sagen: „Bis zum nächsten Jahr!" – ohne zu wissen, ob wir dann noch in der gleichen Liga spielen. Der Münsteraner Tross jedenfalls verlässt den Pott vorerst und macht sich gut gelaunt auf die Heimreise. Ob er jemals wieder kommt...?

 

T.H.

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