„Maaaan, sind die auswärtsschwach.“

 

Impressionen eines Hamburg-Trips

 

Morgens, halb zehn in Münster. Es ist der 19.10.2002 und am Hauptbahnhof versammelt sich eine Delegation der Aasee-Mönche, um Westfalen in Richtung Hamburg zu verlassen. Man plant, am Nachmittag beim im hohen Norden beheimateten HSV zunächst satte drei Punkte zu erbeuten und genau dies anschließend auf der Reeperbahn gebührend zu feiern. So weit, so gut.

Vollzählig und zuversichtlich besteigt die Abordnung die Bahn und erreicht ohne besondere Zwischenfälle gut gelaunt das sonnige Hamburg. Zielsicher wird das als nächtliche „Ruhestätte“ gebuchte Hotel Stern im Herzen St. Paulis angesteuert. Ein auf dem Parkplatz abgestelltes Fahrzeug mit mehreren im Fahrerbereich ausgelegten leeren Altbierdosen scheint Hages Ankunft zu verraten – ein Trugschluss, wie sich herausstellt. Zwei weitere Mönche und einen ortsansässigen Sympathisanten gilt es noch aufzulesen, bevor es in Richtung Stadion geht. Bei Gelegenheit wird in der für den Abend zur Verköstigung bestimmten Lokalität schon einmal die Bierqualität getestet. Diese bereitet unerwarteten Anlass zur Sorge – das Expertenteam bemängelt vor allem den mangelnden Kohlensäuregehalt des ausgeschenkten Gerstengebräus. Der allgemein positiven Stimmung tut dies jedoch keinen Abbruch, zumal die Zeit bis zum Abend allemal ausreichend erscheint, dem geringfügigen Missstand abzuhelfen. Sonnigen Gemüts macht sich die grün-weiß-schwarz geschmückte Gesellschaft mithin auf den Weg in Richtung AOL-Arena.

Dort angekommen, stößt ein weiterer Münsteraner Mönch namens Axel zum Team, der die Anreise parallel, aber mittels alternativer öffentlicher Verkehrsmittel hinter sich gebracht hat. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der altbekannte Geistliche als sternhagelvoll. Deswegen ist er äußerst singfreudig und zugleich froh, bewährten Geleitschutz auf dem Weg ins Stadion gefunden zu haben. Orientierungsschwierigkeiten und ein Gruppenfoto verzögern die Ankunft der Gefährten im Block 14B, erst gegen 15 Uhr eröffnet sich ihnen schließlich der Blick ins stattliche Rund der Arena.

Noch etwa 51.000 weitere Fußballinteressierte finden an diesem Nachmittag den Weg ins ehemalige Volksparkstadion, das heute wohl eine der schönsten BuLi-Spielstätten darstellt. Das Rund präsentiert sich hoch aufgetürmt – gute Sicht von allen Plätzen ist somit garantiert. Allerdings leidet darunter der offensichtlich wenig sonnenbeschienene Rasen. Die Größe und Höhe der Oberränge erscheinen zudem erdrückend, der Unterrang fällt im Vergleich ziemlich klein und schmal aus – es bleiben definitiv zuwenig Stehplätze hinter dem Tor des Heimteams. Anpfiff.

Was folgt, sind 90 Minuten Langeweile und Entsetzen. Offensichtlich kann keiner so richtig, scheinbar will auch keiner wirklich. Peer Kluge scheidet nach einer halben Stunde verletzt aus. Demo kommt, mit ihm aber leider nicht die erhoffte Kreativität. Sichtlich verunsicherte Hamburger kicken gegen Gäste, die hinten zwar sicher stehen, aber jeglichen Drang nach vorne vermissen lassen. Ganze zwei Torschüsse kommen in der ersten Hälfte des insgesamt zustande. Zum Auftakt der zweiten Hälfte dann der Paukenschlag: Münch lässt den ansonsten harmlosen Mahdavikia hinter sich durchlaufen. Stiel muss raus und wird prompt vom Iraner überspielt. Münch versucht, seinen Fehler wieder auszubügeln und „klärt“ hoch in die Mitte. Ca. 20 Meter vom Tor entfernt kommt dort Meijer ungedeckt zum Kopfball, der sich knapp unter der Latte unerreichbar für den zurückeilenden ins Tor senkt. Scheiße.

Noch eine gefährliche Szene des Heimteams direkt im Anschluss, dann nimmt Gladbach das Heft in die Hand. Und wie. Unaufhörlich rennen die Gäste gegen das Tor von Pieckenhagen an – ohne es allerdings zu erreichen. Angriffswelle auf Angriffswelle verpufft an der gegnerischen Strafraumgrenze. Van Hout, van Houdt und Aidoo repräsentieren die personifizierte Harmlosigkeit. Ganze drei Möglichkeiten springen für den VfL heraus: Jeder der drei Stürmer schießt einmal aufs Tor. Pieckenhagen wird dabei kein einziges Mal vor ernsthafte Probleme gestellt. Scheinbar gelangweilt von soviel Nichtstun blamiert sich der Hamburger Schlussmann, der nach eigenem Bekunden gerne mal seine „Eier zeigen“ würde, daraufhin in beinahe bemitleidenswerter Art und Weise mutwillig, als er versucht, durch einen Abschlag über Stiel hinweg direkt ein Tor zu erzielen. Leider erreicht der Ball dabei (wie bereits einige Male zuvor) nicht einmal den gegenüberliegenden Strafraum. Doch es kommt noch schlimmer. In den letzten fünf Minuten machen seine Mannschaftskameraden sich noch einmal daran, eindrucksvoll zu verdeutlichen, wie schlecht sie an diesem Nachmittag wirklich sind. Die unfassbar klägliche Vergabe dreier „1000%iger“ Konterchancen in Überzahl und allein vor Stiel kurz vor Schluss erscheint dem angereisten Gästefan fast wie Hohn und Spott gegenüber dem eigenen Team, dem es bisher wohl nie leichter gemacht wurde, ein Auswärtsspiel zu gewinnen. Durch diese wirklich lächerliche Schlussphase jedenfalls verscherzen es sich auch die Blauen noch mit dem heimischen Publikum, das am Ende den Sieg der eigenen Mannschaft bepfeift – das bezeichnende Ende eines grauenhaften „Fußballspiels“.

Einer hält sich an diesem trostlosen Samstagnachmittag wacker: Axel, der Mönch im Alkoholrausch. Wiederholt fragt er nach, in welche Richtung Gladbach momentan eigentlich spielt, oder welche Mannschaft gerade in Ballbesitz ist. Kaum hat er eine Antwort bekommen, stimmt er einen Schlachtruf an – egal wie die Auskunft lautete und notfalls auch dauerhaft alleine. „Mööööchnklattpah!“ Auch im Hüpfen versucht sich der treue Supporter, nimmt davon allerdings recht schnell wieder Abstand. Kurze Unterbrechung, dann wieder ein kräftiges „Mööööchnklattpah!“ Ob bewusst oder unbewusst: Axel trifft den Nagel auf den Kopf. Sein „Ohjeee, ohjeee, oje oje ohojee...“ wird zur traurigen Hymne des Nachmittags. In der Halbzeit verschwindet er für ein paar Minuten und taucht zur kollektive Überraschung sogar rechtzeitig wieder auf. Wie alle im Block wird auch Axel in der zweiten Halbzeit ruhiger. Fassungslos wiederholt er mit fortschreitendem Spielverlauf von Zeit zu Zeit seine niederschmetternde Analyse: „Maaaan, sind die auswärtsschwach. Allerwirsindjasoooo auswärtsschwach... Nee nee nee… Mööööchnklattpah!“ Schließlich und endlich trennen sich die Wege. Für Axel geht’s zum Bahnhof, für den Rest in die Stadt. „Schöhööös! Schöhööös!“ Schade eigentlich. Das war amüsant...

Weniger lustig dagegen ist der Weg aus dem Stadion zurück zum Hotel: So gut wie keine Schilder, keine Ordner, wenig Platz. Dafür aber schlammiger Waldboden und jede Menge Pfützen. Wiederholte Orientierungslosigkeit und Lemming-ähnliche Folgsamkeit sorgen dafür, dass ein längerer Fußmarsch zur Bahnstation in Kauf genommen werden muss. Am Ende treffen dann doch alle wohlbehalten im Hotel ein, um nur wenig später – mittlerweile in Zivil und „nur“ noch in Begleitung lediglich einer standhaften Dame – dieses wieder in Richtung Gyrostempel zu verlassen. Dort die nächste Hiobsbotschaft: Den mittäglichen Beanstandungen der Delegation ist nicht entsprochen worden, das Bier bleibt weitgehend kohlensäurefrei. Dafür ist die Mahlzeit (im wahrsten Sinne des Wortes und auch ohne die von Mönch Frank vehement geforderte „Sohsemajo“) umso fetter. Dramatische Szenen spielen sich ab, als Schwester Christa auf der steilen Treppe in Richtung Lokus nur durch sagenhaftes Glück der Brechreizattacke einer herabstürzenden „Thekenschlampe“ entgeht. Oben kümmert sich derweil die vermeintliche Tochter des Hauses nahezu rührend um die Gästeschar am einzigen (!) besetzten Tisch, bevor man sich zu fortgeschrittener Stunde des Samstagabends ins Nachtleben verabschiedet.

Angesteuert wird die „Große Freiheit“. Dort zieht es die Truppe zunächst ins schummrige „Star Treff“, doch Mönch Christian spekuliert vergeblich darauf, in der ganz in poppigem (haha) rosa gehaltenen Bar eine(n) gute(n) alte(n) Bekannte(n) aus dem Transvestitenmilieu wiederzutreffen. Enttäuscht verlässt die Combo das Etablissement nach nur einer Runde Astra und schlendert weiter ins nahegelegene „Rock Cafe“. Hier fühlt man sich bedeutend wohler – laute, gut ausgesuchte Rockmusik lädt zum verweilen ein, es folgt Umtrunk auf Umtrunk. Bereits weit nach Mitternacht treibt der Hunger die Aasee-Abgesandten wieder an die frische Luft. Die Wahl fällt auf eine Imbissbude mit merkwürdigem Bratwurst-Angebot: Thüringer, Krakauer und Currywurst-Wurst. Entsprechend gestärkt geht’s zurück auf die Meile. Das „Dollhouse“ ruft, doch noch davor wird man von einer bizarr gekleideten jungen Dame in Beschlag genommen, die sich durch Betteln auf offener Straße ihren Junggesellinnenabschied finanziert. Auf dem Rücken ein Foto des (glücklichen??) Paares, verkauft die Lady Küsse und Lümmeltüten für horrende Summen. Einige Mönche erliegen dem Charme der jungen Lady, sie verschwinden mit dem albernen Huhn in einem der Clubs. Andere können nicht genug Mitleid aufbringen und verdrücken sich schon mal ins ursprünglich angesteuerte Vergnügungslokal, in das ihnen später auch die tanzwütigsten aller Mönche folgen.

So nimmt die Nacht ihren Lauf. Teure Drinks, gewagte Motorradstunts und ansprechende Impressionen in Silikon sorgen für beste Unterhaltung und lassen die Zeit wie im Fluge verstreichen. In den frühen Morgenstunden sorgen die unterschiedlich verteilten Interessen für eine Zerstreuung der verwegenen Truppe. Während sich die ersten ins Hotel abseilen, begibt sich das Duo Christian & Ralf auf einen Schaufensterbummel in die Herbertstraße. Im Anschluss erledigen die beiden noch eine Hausdurchsuchung der besonderen Art sowie einen Abstecher in den „Silbersack“, bevor es auch sie auf die (eigene) Matratze verschlägt. Wieder andere verlassen erst viel später das drollige Puppenhaus auf der „Großen Freiheit“, um sich dann aber direkt in Richtung Nachtlager zu begeben. Etwa zur gleichen Zeit schlendern zwei wirklich ganz Hartgesottene noch über Hamburgs vielzitierten, aber dennoch langweiligen Fischmarkt...

Lediglich teilweise versammelt sich einige wenige Stunden später die Mönchsbande wieder offiziell am hoteleigenen Frühstückstisch, wo man beschließt, bereits am frühen Mittag wieder ins heimische Münster aufzubrechen. Folglich wird die Sightseeing-Tour auf einen Zeitraum von zehn Minuten gekürzt, was immerhin für einen kurzen Blick auf Binnenalster und Rathaus ausreicht. Nach einer mehr oder weniger nahr- und schmackhaften Stärkung im Hauptbahnhof besteigt die durch die Rückkehr dreier Damen mittlerweile wieder vollzählige Aasee-Delegation den Zug, der sie zunächst nach Bremen gondelt. Der dortige Zwischenstopp sowie ein kurzweiliger Aufenthalt im schönen Osnabrück gestalten die Rückreise durchaus abwechslungsreich und unterhaltsam. Letztendlich aber geht auch die Hamburg Tour in Münster zuende und dort sodann jeder Mönch seine eigenen Wege. Bis zum nächsten Mal...

 

 

Tim D. Hesse für die Aasee-Mönche Münster (mailto: daywalker@aasee-moenche.de).

 

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Bilder von der Hamburg-Tour