Die Mönche kommen...

Die Dämmerung hatte gerade erst begonnen, als am frühen Samstag Morgen des 27.04.2002 gegen 6:15 Uhr ein weißer Mercedes-Sprinter das westfälische Münster verließ, um sich auf den Weg in Deutschlands wilden Osten zu begeben. An Bord sieben tapfere Mönche und eine Lady mit wachsamem Auge auf ihre als nicht immer bedingungslos fromm bekannte Begleiterschar.

Bruder Hage hatte die erste Tour übernommen und steuerte den Bus ohne besondere Vorkommnisse zum ersten Zwischenstopp am Rande des Weges. Dort brachte die Gruppe Körper und Geist zunächst mit frisch gezapftem Kaffee und einem zünftigen Frühstück in Wallung. Auch die letzte Müdigkeit verflüchtigte sich, als Hage seine Höllenmaschine in Gang setzte. Wie sich später herausstellen sollte, stammte das Tonbandgerät vom Teufel höchstselbst – und beschallte fortan sämtliche Rastplätze zwischen Westfalen und der Ostseeküste mit den ehrwürdigen Melodeien der Barden von BO. Ein offensichtlich heidnischer Fremder meinte, eben darin die Werke der sogenannten „Toten Hosen“ erkannt zu haben und konfrontierte uns sogleich mit dieser seiner fragwürdigen Erleuchtung. Natürlich war die Aasee-Delegation tief getroffen von soviel furchtbarer Ignoranz, vergab dem Irrgläubigen aber dennoch gnädig.

Nachdem Volker das Steuer übernommen hatte, gesellte sich Hage zu den restlichen Recken auf die Rückbank. Von nun an testete seine Herzdame Petra anhand einiger schlauer Karten die Gefolgschaft bezüglich ihrer Kenntnis von Ruhm und Ehre des Mythos Borussia auf Herz und Nieren. Nicht selten traten hierbei abgrundtiefe Wissenslücken offen zu Tage, woraufhin sich Hage verpflichtet sah, die Unwissenden mit diversen akustischen Foltermaßnahmen zu geißeln. Die Adressaten ertrugen die mitunter wirklich grausame Pein mit Fassung, nicht merkend, dass sich Phrasen wie „Seeeeeemann, Deine Heimat ist das Meer, Deine Sehnsucht sind die Steeeeerne“ oder „Der Deutsche Meister, Gladbach so heißter“ tiefer und tiefer in ihr Unterbewusstsein einschleichen sollten...

Bei einem weiteren, im wahrsten Sinne des Wortes stürmischen Halt übernahm der Verfasser dieses Berichts die fahrerische Kontrolle über das Fortbewegungsmittel. Die Reisenden hatten sich das nächste Teilstück ihrer Fahrt durch ostdeutsche Felder, Wälder und Wiesen hindurch zu bahnen, da ihnen der vermeintlich schnellste Weg ans Ziel unverhofft versperrt wurde. Neben landschaftlicher Idylle präsentierten sich ihnen dabei mitunter auch Häuser und Dörfer, die sich als Relikte längst vergangener Tage nur allzu oft in weit weniger ansehnlichem Zustand befanden, als es sich Bewohner und Betrachter wohl gleichermaßen wünschten. Zurück auf der geplanten Route ging die wilde Fahrt wieder ein wenig schneller voran, sodass schließlich bald kurz vor der Ostseemetropole Rostock der dritte und letzte Zwischenstopp eingelegt und mit einem ausgiebigen Mittagsmahl verbunden wurde. Bei zahlreichen Frikadellen, einigen Mettwürsten und schmackhaftem Kartoffelsalat, über den der heilige Vater zuvor persönlich seine schützende Hand gehalten hatte, stärkte man sich ausgiebig für die Dinge, die da kommen sollten. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sich die musikalische Untermahlung weitgehend auf ein und denselben Tonträger eingependelt, der auf markant monotone Art und Weise Geschichten nicht nur vom allseits bekannten Seemann, sondern auch von der Hamburger Reeperbahn und einem Jungen, der doch endlich nach Hause kommen sollte, zu erzählen vermochte.

Verzweifelte Versuche, uns noch andere musikalische Höhepunkte zu bescheren, schlugen auf dem letzten Teilstück der Fahrt immer wieder fehl – so waren wir letztlich Herrn Quinn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Bald begann auch Hage sein ehemals geliebtes Soundsystem zu verfluchen, worauf sich dieses auf seine eigene Art und Weise revanchierte: Fortan durfte nicht einmal mehr Freddy uns mit seiner zweifelhaften Sangeskunst beglücken. Gerade als die Getreuen jedoch drohten, in einem Strudel tiefster Depression zu versinken, zeigten sich am Horizont die Flutlichtmasten des Ostseestadions – wie es schien, waren wir um genau 13:02 Uhr endlich am Ziel unserer Reise angelangt.

Leider hatten wir jedoch die Spielstätte von der falschen Seite angesteuert, sodass uns ein ausgiebiger Fußmarsch und allerlei mehr oder weniger einfallsreiches Gepöbel einheimischer „Fußballfans“ erwartete, bevor wir das Areal auf der Stadionrückseite zunächst ausgiebig betrachten und dann durch den Gästeeingang auch betreten durften. Getreu dem Motto „Die Mönche kommen!“ fiel also die Schar der Borussenanhänger – zu einem großen Teil in standesgemäße braune Kutten gehüllt – ins Rostocker „Schmuckkästchen“ ein. Hatten die schnuckeligen Flutlichtmasten von außen noch eher an ein unfertiges Provisorium erinnert, wurden wir drinnen zunächst angenehm überrascht. Freundlich und hell, angenehm übersichtlich und komplett überdacht – hier hatte der Aufbau Ost scheinbar tatsächlich Früchte getragen. Unser positiver Eindruck wurde getrübt, als wir feststellen mussten, dass die einzige Anzeigetafel (inklusive Stadionuhr) ausgerechnet am Dach über „unserer“ Kurve angebracht worden war, wo wir sie selbst nicht einsehen konnten. Als wir jedoch merkten, dass dies außer uns dem halben Stadion ebenfalls so ging, lachten wir uns ins Fäustchen und begannen unbeeindruckt, unsere lautstarken Gesänge anzustimmen. Zu unserer Überraschung blieben wir dabei über weite Strecken des Nachmittags nahezu ohne jegliche Konkurrenz. Das Rostocker Publikum machte sich eigentlich nur dreimal wirklich deutlich bemerkbar: Zunächst unrühmlicherweise im Rahmen der anberaumten Schweigeminute für die Opfer der Erfurter Tragödie vom Tag zuvor, dann natürlich nach dem Tor durch Delano Hill zur zwischenzeitlichen 1:0 Führung der Hausherren und schließlich nach Spielende, als schallende Musik aus der Lautsprecheranlage für einen rauschenden Saisonabschluss sorgen sollte. Nicht zuletzt Fußballgott Igor Demo mit seinem fulminanten Ausgleichstor ließ Hansas Party jedoch an diesem Samstag ein wenig dürftig ausfallen. Wenigstens wir Gladbacher feierten unsere Auf- und Nichtabstiegshelden über mehr als 90 Minuten gebührend und machten uns gegen 18 Uhr nicht unzufrieden wieder auf den Heimweg.

Zwar fiel es Hage sichtlich schwer, sich von seinen noch auf die letzte Minute neu gewonnenen Freunden vor Ort zu trennen, doch als wir ihn rigoros zum Einstieg drängten, ließ auch er sich letztlich von der Notwendigkeit eines zügigen Abschieds überzeugen. Unübersehbare Mängel in der ostdeutschen Infrastruktur und anfängliche Unstimmigkeiten über die Fahrtroute erschwerten es uns ebenfalls zunächst erheblich, Rostock wieder zu verlassen. Schließlich aber schafften wir es doch und fielen wenig später über die Reste unserer stattlichen Bier- und Hackfleischvorräte her. Das immer noch gut gekühlte Gesöff im Wagen entpupte sich als ein wahrer Segen im Vergleich zur  Rostocker Stadionplörre (nicht wahr, Olli?). Die Frikadellen allerdings versetzten uns langsam aber sicher in einen Rausch, wie ihn selbst Alkohol und Nikotin zusammen nicht auszulösen vermögen. Obwohl wiederum einige Male angehalten wurde, um die Blase zu entleeren und frische Luft zu atmen, hatte uns die Überdosis Mett die gesamte Rückfahrt über fest im Griff. Zwar tat DJ Axel an vorderster Radiofront sein bestes, doch auch er konnte nicht verhindern, dass die komplette Rückbank erschöpft von Hackfleischverdauung und unzähligen Mettphrasen langsam aber sicher in einen verdienten Erholungsschlaf verfiel.

Gegen 24 Uhr hatte das Mönchsmobil schließlich wieder die Heimat erreicht. Nachdem der Tank gefüllt, die leeren Kühltaschen sortiert, sämtliche Zahlungen getätigt und Verabschiedungen erfolgt waren, trennte sich die verwegene Supporter-Truppe. Viele verschlug es umgehend in ihr Mett – ich bitte um Entschuldigung, die Nachwirkungen – Bett, andere wiederum vergnügten sich noch bis in die frühen Morgenstunden zur lauten Musik eines Münsteraner Cafés. Wie auch immer man diesen Tag beschlossen haben mag, dürfte einem einhelligen Urteil im Grunde nichts entgegenstehen – der Auswärtstrip nach Rostock war jovel und wird in der kommenden Saison sicherlich eine Neuauflage finden. Wohin es uns in Zukunft auch immer verschlagen mag – eins ist sicher: Die Mönche kommen wieder!!

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Bilder von der Rostock-Tour